Eva Müller

Karl Rainer Alber und sein Sechster Sinn

So viele Erinnerungen verbinde ich mit Hr. Alber, so viele gemeinsame Erlebnisse, so viele seiner berühmten Sprüche, so viel Schweiß und so viel Lachen.

20 Jahre lang hat er mich begleitet, durch dick und dünn. Ich hab ihn gefürchtet und geliebt. Gefürchtet z.B. wenn wir Voltis gemeinsam am Holzpferd herum hingen und tratschten, und er von hinten kam, mit seinem berühmten Nackengriff und sagte “Jetzt hob i die bei der Huasten”, oder sein leidenschaftlicher “Klapps” auf den Oberschenkel, der immer ganz schön weh tat, doch immer gut gemeint. Gefürchtet und geliebt habe ich auch seine berühmt-berüchtigten Brüller quer durch die Halle, wenn er so richtig in Fahrt war beim Training. Nichts konnte so motivieren und anspornen wie seine gewaltige Stimme.

Was ihn aber besonders auszeichnete für mich, war sein einmaliges “G’spür”, sein sechster Sinn für Voltigierer und Pferde. Irgendwie wusste er immer ganz genau, wie und wo er jemanden anpacken musste, um ihn zur Höchstleistung zu bringen, und erkannte in Pferden, die total ungeeignet erschienen, was wirklich in ihnen steckte. Nur so lässt es sich erklären, dass die meisten Braunauer (Erfolgs-)Pferde für einen Spottpreis gekauft oder sogar dem Verein geschenkt wurden.

Als Beispiel möchte ich gerne meine Geschichte erzählen, an die ich mich am liebsten erinnere.

Es war 1992, ich war 17 und eine mittelmäßige Gruppenvoltigiererin. Nichts besonderes, kaum Talent, aber ich hatte viel Spaß am Voltigieren und mit den Pferden. Einzel startete ich auch manchmal, aber nur zum Spaß.
Es war Herbst, die Turniersaison vorüber. An einem kalten, grauen Sonntag Abend war ich allein im Stall und bewegte ein Pferd. Hr. Alber fuhr in den Hof, er kam gerade zurück von einem A-Kadertraining mit den besten Einzelvoltigierern Österreichs. Er war total frustriert: “Ma, Eva, des san solche Haubentaucher, des kannst da ned vorstelln. Für ois ham’s a Ausred.”
Pause. Dann schaute er mich fest an: “Woasst was, Eva, wos die können, kannst du a. Wennst hart trainierst übern Winter, kannst die ganzen Wabbler schlogn nächstes Jahr.”
Ich schaute ihn erstaunt an. Was er da sagte, bedeutete langjährig international erfolgreiche Voltigierer zu schlagen. Ich? Hr. Alber schaute mich immer noch fest und fordernd an. Er meinte es ernst. Was hatte ich schon zu verlieren? “Ok”, sagte ich. Hand drauf. Hr. Alber bot mir an, jederzeit mit mir zu trainieren, wann immer ich wollte und er Zeit hatte. Einzeltraining im wahrsten Sinne des Wortes – nur er, ich und das Pferd. Mega-anstrengend. Ich nahm sein Angebot an und trainierte wie besessen den ganzen Winter über. Auch zuhause, für die Matura lernend, saß ich im Spagat, machte 20 Liegestütz nach jedem Paragraph, ging mitten in der Nacht joggen, wenn ich vom lernen müde war, und wiederholte laut Texte während ich im Handstand stand. Und jede freie Minute war ich im Stall, am Holzpferd oder auf jedem Pferd, das wir im Stall hatten. Schritt, Trab, Galopp, rechts, links, groß oder klein, egal.

Der Frühling und das erste Turnier der Saison 1993 kam schnell. Es war gleich eine EM-Qualifikation in Amstetten. Unser Pferd Mogli war verletzt, darum sollte ich auf einem Pferd vom Welser Verein starten. Ich trainierte ein paar mal auf ihm und es lief gut. Hr. Alber fuhr einen Tag früher zum Turnier um Nachwuchsbewerbe zu richten. Ich kam mit Karin einen Tag später. Als ich ankam, traf ich Hr. Alber. Er sah mich wieder fest an, und in seiner kurzen, fast schroffen Art sagte er: “Ich hoffe, du bist fit. Es wird a bisserl anstrengend für dich. Du startest auf 2 Pferden.” Aha.
Am Vortag ging Hr. Alber durch den Turnierstall und sah einen kleinen, dünnen Fuchs in einer Box stehen. Er wusste sofort: “Das ist Eva’s Pferd!”. Sein sechster Sinn. Also fand er heraus, wer der Besitzer ist und fragte, ob ich auf dem Pferd, Samuel, starten durfte. Als ich Samuel sah, dachte ich mir “Oh Gott”. Er war dünn und knochig und alles andere als freundlich. Der Besitzer warnte mich, nicht in die Box zu gehen, er sei ein bissiges Krokodil. Leise dachte ich mir “Was hat sich Hr. Alber da bloss gedacht?”. Aber was soll’s. Ich tat mein bestes und startete auf beiden Pferden, und ohne einem einzigen Training auf Samuel. Einfach eiskalt einlaufen – und es lief wie geschmiert.

Ich weiß nicht, wer am Ende des Turniers am meisten überrascht war… ich gewann die EM Qualifikation auf Samuel, und wurde 4. mit dem anderen Pferd! Mehr als nur ein Traum wurde wahr.

 

 

 

Das war der Beginn meiner langjährigen, sehr erfolgreichen internationalen Einzel Karriere, die bis ins Jahr 2000 anhielt, und Samuel und ich wurden ein nahezu unschlagbares Team. Wir gewannen noch viele andere Turniere. Als sich Samuel – er war inzwischen ein “Braunauer” geworden – ein paar Jahre später leider ernsthaft verletzte, war es wieder Hr. Alber’s sechster Sinn, der ein perfektes “Ersatzpferd” fand: Mon Filou mit Veronika Fuchs (Greisberger). Es folgten weitere viele erfolgreiche Jahre und Championatsteilnahmen.

Hr. Alber’s G’spür, seine Menschen- und Pferdekenntnis und seine grenzenlose Motivationskraft schafften etwas, woran ich selbst nie geglaubt hätte. So brachte er mich von einem mittelmässigen Gruppenvoltigierer unter die Top 10 der Einzelvoltigierer weltweit! Und, wohlbemerkt: ich war nur eine von vielen, die er selbstlos unter seine Fittiche nahm und im wahrsten Sinne Flügel verlieh!

Die Erlebnisse, Abenteuer und Freundschaften, die Hr. Alber mir damit ermöglichte, würden ein ganzes Buch füllen. Ich habe in diesen 20 Jahren unschätzbares fürs Leben gelernt und werde mich immer lachend & weinend an Herrn Alber erinnern. „Da bleibt kein Auge trocken!“ In meiner Liebe für Pferde und das Voltigieren lebt er weiter.

Heute lebe ich in Australien und habe die Ehre und Freude als Bowen Therapeutin und Equine Muscle Release Therapeutin (EMRT) Menschen und Pferden helfen zu können um gesund zu werden bzw. zu bleiben. So schliesst sich der Kreis, wie bei vielen anderen Ex-Voltis auch: ich arbeite wieder mit Pferden und kann etwas von all dem Guten und Positiven, das ich in den vielen Voltigierjahren von den Pferden, Trainern und Voltis erhalten habe, zurück geben.

 

 

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